Ehelosigkeit

Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam sind, rein formal genommen, (noch) nicht die Liebe, die letztlich allein bei Gott zählt. Es gibt ja leider Christen genug, die äußerlich in den Räten aber innerlich nicht in der Liebe leben!
Inwieweit besteht (vielleicht) zwischen dem Mitglied im so genannten weltlichen Institut und dem Ordensmitglied ein Unterschied in Bezug auf die gelebte Ehelosigkeit? (Unser Rahmenthema lautet ja "Gelübde – weltlich gelebt").

Der evangelische Rat von der Ehelosigkeit - ausgewählte Fragen und Probleme

Das Problem fängt damit an, dass sich in den Satzungen - anders als bei der Behandlung von Armut und Gehorsam - nur ein paar Worte finden, und auch diese noch sehr allgemein gehalten sind. (Das ist in fast allen Ordensregeln so). Auch in der mündlichen Unterweisung (Formation) erfährt die Kandidatin meist nur Andeutungen oder gar nichts. Ein solch sparsamer Umgang mit diesem Gelübde genügt aber heute nicht mehr. Denn die Schwierigkeiten und Gefährdungen der Verwirklichung einer nur aus dem Glauben zu bestehenden Berufung sind größer geworden, von der Welt und vom Menschen selbst her. Und wie wir alle wissen: Die Lebensform in der freiwilligen Ehelosigkeit wird heutzutage in der Gesellschaft (von den drei Evangelischen Räten her) am wenigsten verstanden und gut geheißen. Denn es geht hierbei nicht nur um Verzicht auf Geschlechtlichkeit, sondern um einen existentiellen Verzicht. Das heißt: Zum evangelischen Rat der Ehelosigkeit gehört der Verzicht auf die Geborgenheit in einer Familie, auf den Verzicht einer intimen ICH-DU-Bindung. Es gehört dazu der Verzicht auf eigene Kinder, in denen Eltern sich wiederfinden. Wie tiefgreifend diese Verzichte auf diese natur gegebenen Lebensbereiche sind, zeigt sich darin, dass der ehelose Stand zumindest von der Anthropologie her oft nicht bewältigt wird und vielfache Fehlformen hervorbringt. Diese Verzichte innerhalb des Gelübdes der Ehelosigkeit werden von der Natur nicht ohne weiteres hingenommen. Was ist zu tun? Man darf als Erstes die Geschlechtlichkeit nicht ignorieren wollen, auch nicht im Gelübdestand. Man darf nicht so tun, als gäbe es sie nicht. Denn eine verdrängte Geschlechtlichkeit kann die meisten Gefahren wie Ungeordnetheiten, Unausgeglichenheit, Passivität, unkontrollierte Reaktionen hervorbringen und anderes mehr.
Was oft nicht berücksichtigt wird ist die Tatsache, dass zum Gelingen (oder der Integrierung) der Geschlechtlichkeit die Pflege des Humanum ganz wichtig ist. Deshalb soll sich dieser Beitrag in besonderer Weise mit der anthropologischen Sicht der Ehelosigkeit befassen: Der Mensch will sich als leibliches Wesen, das er ja immer bleibt, in gewisser sichtbarer Weise ausdrücken und darstellen können, sonst kommt er nicht oder nicht genügend zu sich selbst. Was heißt das konkret? Der Zölibatäre braucht, um es nur in Stichworten anzudeuten, wie jeder andere Mensch, ein gewisses Maß an Geborgenheit, d. h. sein eigenes, persönlich gestaltetes Zimmer/Wohnung, ein gewisses Maß an Besitz und Selbstverwirklichung in einer sinnvollen Tätigkeit. Falsch verstandene Armut und Gehorsam sollten diesen Grundbedürfnissen dabei nicht im Wege stehen (was vor allem ein Problem im klösterlichen Bereich darstellen kann). "Eine einigermaßen differenzierte Frau von heute", schrieb einmal P. Friedrich Wulf, "die in ein Kloster eintritt, wird wohl harte Armut auf sich nehmen, aber sie kann nicht ohne Schaden auf die Dauer in einen Primitivzustand zurück versetzt werden".
Man macht es sich zu einfach, dem Menschen, der die Ehelosigkeit gelobt hat, zu sagen: Die Familie, auf die du verzichtet hast, findest du von nun an in einer "anderen Familie", einer religiösen Gemeinschaft wieder. Die Ordensgemeinschaft wie auch unsere Gemeinschaft im SI ist und kann nie Ersatzform der natürlichen Familie werden. Das stellt ein ernstes Problem dar, denn jeder Mensch, auch der Mensch, der sich mit allem, was er ist, Gott geweiht hat, kann nicht ohne weiteres auf mitmenschliche Partnerschaft verzichten. Sie gehört zum menschlichen Leben einfach dazu. Partnerschaft ist noch nicht gleich Freundschaft im Vollsinn des Wortes. Die Menschen, die Gott in eine dieser besonderen Gemeinschaften zusammengeführt hat, müssen den Wert des Partnerschaftlichen ernst nehmen, d. h., dass man sich annimmt, und auf sich nimmt, dass man sich ganz als Mensch auf den Menschen einlässt, Liebe schenkt und, wenn es sein muss, auch mitunter ihre Schwächen erträgt - also selbstlose Liebe schenkt, (was übrigens auch als Einziges den Bestand einer Ehe und natürlichen Familie gewährleistet). Wo es einer Kommunität nicht gelingt, zu diesem wirklich partnerschaftlichen Miteinander von Schwestern (oder Brüdern) zusammen zu wachsen, da hat man die Liebe letztlich noch nicht gewagt.

Zur spirituellen Argumentation

Wenden wir uns kurz der spirituellen Argumentation zu, die uns allen wohl allzu geläufig ist. Es ist richtig: Christliche Ehelosigkeit wird auf die Dauer nur diejenige leben können, die die Mitte ihrer Berufung bewusst lebt, d. h., die sich ganz Gott zuwendet ("Um des Himmelreiches willen"). Wir wissen alle um das Wort des hl. Paulus im Korintherbrief (7, 32-34): "Die unverheiratete Frau und die Jungfrau sorgen sich um die Sache des Herrn, um heilig zu sein". Doch es ist meist zu wenig, die Sinnhaftigkeit des Gelübdes der Ehelosigkeit (und dies "auf ewig") mit diesen oder jenen einschlägigen Bibelzitaten zu untermauern. Wir können als Erstes immer davon ausgehen, dass Berufung ein Geschenk Gottes ist und nur der, der "es fassen kann", ist auf dem richtigen Weg, – wenn auch noch lange nicht am Ziel!
Entscheidend für die Aufarbeitung des Verzichts auf den ehelichen Partner ist sicher die religiöse Liebeskraft, d. h. die wirkliche und ständige Verbundenheit mit Gott. Um es einfacher zu sagen: Wo die geistliche Welt für den ehelosen Menschen eine Realität ist, wo er in ihr lebendig lebt und wo sich in ihr etwas entfaltet, da mag der Verzicht auf die eheliche Liebe immer wieder einmal schmerzlich gespürt werden, aber ernsthaft ist der Sinn des eingegangenen Gelübdes nie infrage gestellt. Als echt erweist sich diese "religiöse Welt", von der wir eben gesprochen haben, auch nur, wenn sie sich in der Welt des Alltags – und das heißt immer in erster Linie in der Liebe zum Mitmenschen - bewährt. Diese Liebe zum Mitmenschen darf meiner Meinung nach nicht nur seelsorgliche und caritative Betreuung sein, in der man dem anderen etwas Gutes tut, sondern sie muss das Beispiel Jesu voll und ganz annehmen, was bedeutet: Den anderen annehmen, in sein Herz eintreten. Ob nicht viele, die im Stand der Jungfräulichkeit leben, zu einseitig die religiöse Welt pflegen (und zu wenig Augenmerk auf das Abenteuer der Liebe richten)? Die großen Heiligen jedenfalls (wir denken vielleicht an Franz von Sales), wussten um diese wirkliche Liebe; darum war auch ihre menschliche Erscheinung so leuchtend und ihr eheloses Leben so überzeugend.

Kultur des Herzens

Die Ehelosigkeit "um des Himmelreiches willen" bedeutet also in einer geistlichen Gemeinschaft eine zweifache Bereitschaft: Zum einen, sich ganz dem Du Gottes anheim zu stellen, zum anderen die Bereitschaft, für die Menschen da zu sein. Was in einer guten Ehe und Familie gleichsam wie von selbst geschenkt wird - eben das sinnenhafte, leib-seelische In-Anspruch-genommen-werden, das muss sich der zölibatäre Mensch im bewussten Bemühen aneignen. Ein Drittes gibt es nicht. Im Evangelischen Rat liegt also der Auftrag, seinem eigenen Gemütsleben größere Aufmerksamkeit zu schenken, seine Sensibilität und den Reichtum seiner Emotionen zu entfalten und zu pflegen, anders gesagt: die Liebes- und Hingabefähigkeit entwickeln. Geschieht dies in ständiger Reflexion und im Bemühen nicht, so kann das Leben der Ehelosigkeit scheitern oder zumindest seine Zeichenhaftigkeit verlieren. Dem Gemütsleben größere Aufmerksamkeit zu schenken könnte bedeuten (ich füge nur einige einfache Beispiele an): In der Gemeinschaft zu guten, die Sinne ansprechenden Meditationen und Gebetsformen zu finden. Große Dinge sollen es wahrlich nicht sein. Es wäre anzufangen mit den Kleinigkeiten des Alltags wie: Blumen, Gespräche, gegenseitige Aufmerksamkeit, Hilfsbereitschaft, mit Liebe und nicht mit Aufwand gepflegte Räume, Musik, mit einem Wort eine Kultur des Herzens pflegen. Wer in christlicher Ehelosigkeit lebt, muss auf diese Kleinigkeiten des Alltags Gewicht legen, sonst verkümmern Sensibilität und Emotionalität. Nichts befreit den Menschen so sehr von dem bedrückenden Gefühl des Alleinseins und der Ungeborgenheit wie die sensible Sorge um andere und für andere. So schenkt Gott ihnen eine neue Fruchtbarkeit.
Die Ehelosigkeit in der Kirche, in unseren Gemeinschaften ist sicher ein hohes Gut, aber wir tragen diesen "Schatz in irdenen Gefäßen" ... Christliche Ehelosigkeit bedeutet eine Aufgabe, die, menschlich gesehen, nicht leicht zu bewältigen ist, betrachten wir sie vor allem vom Anthropologischen her, und das war der Schwerpunkt dieses Beitrags.

Ehelosigkeit - weltlich gelebt

Um auf die Eingangsfrage zurück zu kommen: Grundsätzlich sehe ich zwischen Christen, die in einem weltlichen Institut leben und denen, die im Kloster sind, keinen wesentlichen Unterschied, was das konkrete Leben des Gelübdes der Ehelosigkeit betrifft. Vielleicht kommt nur dies hinzu, dass die lockere Bindung zur Gemeinschaft andere Formen der Gestaltung des Miteinander erfordert als dies in einer Vita communis der Fall ist. Auf den ersten Blick mag der in der Welt lebende Christ in Bezug auf die Einhaltung des Gelübdes größeren Gefährdungen ("Versuchungen") ausgesetzt sein als der in einer Klausur lebende, aber diese Auffassung ist heute kaum mehr aufrecht zu halten. Die Anfechtbarkeit menschlichen Lebens geht mitten durch unser Herz. Niemand kann sich aus der faktischen Welt hinweg stehlen. Man nimmt die "Natur" mit und entdeckt sie vor allem dort, wo man meint, weit davon entfernt zu sein. Alle, die sich in die Wüste (oder Klausur) zurückgezogen haben, mussten erleben, wie das "Böse" ihnen in die Einsamkeit nachgefolgt ist, nicht nur Antonius, der Wüstenvater ...

 

Zurück