Armut

Jesus beginnt die Bergpredigt mit der Seligpreisung der Armen (im Geiste). Jesus selbst ist der Arme, er erscheint in äußerster Armut, wie es im Philipperbrief heißt (2,6-11). Jesus steht die existentielle Armut bis zum bitteren Ende am Kreuze durch. Für ihn ist der Weg nach unten in die äußerste Armut (der "Knechtschaft") ein Zeichen seiner Liebe zu uns, den Armen.
Armut ist für Franz von Sales eine der Formen der Liebe zu Jesus Christus, weil wir so als seine Jünger Anteil erhalten an Seinem Leben. Arm-sein heißt für ihn leer-sein im Sinne der Entäußerung (Kenosis) von allem, was nicht Gottes ist. Das wiederum heißt: Frei-sein von allen Bindungen an die "Welt".
Das mag jetzt alles bibeltheologisch etwas abstrakt sein. Das ändert sich, wenn wir uns bestimmte Meister des geistlichen Lebens vor Augen führen, ich denke da etwa an Franziskus. Er verzichtete in einem heroischen Akt persönlich auf allen Reichtum. Aber es ist keine Frage, dass seine Brüder, die ihm in dieser radikalen Lebensweise nachfolgen wollen, alles "besitzen" sollen, was zur Erfüllung ihrer Aufgaben (als Wanderprediger) notwendig ist. Sie haben durchaus all die notwendigen alltäglichen Dinge, wenngleich auch dem Armutsstand der damaligen Zeit angepasst.
In der Lebensform des SI besitzen wir alles, was unseren Bedürfnissen angemessen ist. Was und wieviel das ist, das ist relativ, jedenfalls ist diese unsere gelebte (materielle) Armut eine andere als die des Mönches oder der Nonne in der Vita communis. Unsere Selbstvorsorge und unser Apostolat lassen viele individuelle Entscheidungen zu und viele Fragen offen. Kaum jemand sagt mir genau, was konkret sein "Maß der Dinge" ist. Es gibt da Gefahren nach zwei Richtungen hin: Entscheidungen zum Überflüssigen, Luxuriösen und zum Konsumverhalten sowie Entscheidungen zum Mangel, Geiz und Egoismus. Wer glaubt, für sich das Maß und die Orientierung verloren zu haben, was ja einmal vorkommen kann, könnte sich zur Beruhigung im Gewissen auch mit seinen Vorgesetzten aussprechen. Wir könnten uns zu unserer Eigenkontrolle aber auch ganz einfach die Frage nach den drei folgenden Gesichtspunkten hin stellen: Bin ich zufrieden, bin ich dankbar, bin ich barmherzig (wohltätig, solidarisch)?
Die (gelobte) Armut hat nicht nur mit dem Materiellen zu tun. Überall dort, wo die evangelische Armut ins Spiel kommt, nimmt sie meist auch die Ausdrucksform der Demut und der Dankbarkeit an. Franziskus nennt die Demut eine Schwester der Armut. Nach Franz von Sales wird die Demut (manchmal gleichgesetzt mit Einfachheit) zur alles bestimmenden Lebensform all derer, die dem armen und gehorsamen Christus nachfolgen wollen. Hier unterscheidet sich der Christ im SI keineswegs von denjenigen, die in klösterlichen Gemeinschaften leben.
Franziskus sagt zu den Seinen nicht: "Ihr seid kleine Brüder", sondern "werdet kleine Brüder!" Damit will er den Seinen sagen: Wir sind nie am Ziel in der Berufung des so komplexen Gebotes von der Armut. Somit gilt für uns immer das: "Lernet von mir ...!"
Unsere Satzungen tasten sich nur sehr allgemein und geradezu vorsichtig an die Gelübde heran; sie gehen von der Auffassung aus: Wir sind feige Menschen, wir wüssten schon immer, wie wir uns beispielsweise in punkto Armut zu verhalten hätten. Dass wir alles wissen, mag auch niemand bezweifeln, aber ist in uns auch die moralische Kraft und die innere Freiheit vorhanden, um richtig zu handeln und zu denken? Zumeist bleiben wir alle hinter der hochgesteckten Norm zurück. Da tut ein Blick in das Evangelium immer wieder gut. Als Franziskus eher zufällig die Aussendungsrede des Herrn las, wo es heißt: "...nehmt nichts mit auf den Weg!" Da ereignete sich für ihn das Geheimnis der Bekehrung. Diese Erschütterung – von Grund auf – kann so oder so ähnlich auch heute und immer wieder geschehen.

Armut im Apostolat

Unser Apostolat ist immer eng mit dem evangelischen Rat der Armut, des Arm-seins verbunden. Wie ist das zu verstehen? Wir stellen uns Fragen: Wo sind die Armen bei uns, im Krankenhaus, in der Gemeinde, in der eigenen Gruppe? Wie kann ich ihnen am besten dienen? Fragen wir uns so, dann bekommt die Armut plötzlich ein ihr eigenes, konkretes Gesicht: Arm-sein heißt dann: barmherzig sein, selbstlos sein, teilen können. Ich teile mit jemand anderem meine Arbeitskraft, meine "Talente", meine (Frei)-Zeit (was am schmerzvollsten sein kann), ja, mein Leben. Ich gebe hierbei immer ein Stück von mir selbst; ein zweifelsohne großmütiger Akt, der mitunter ganz gegen die "Natur" gehen kann.
Gerade in diesem Punkt – Armut im Apostolat –, hat es das Mitglied des SI in der Regel mit höheren Anforderungen hinsichtlich der Praxis des Gelübdes zu tun, als dies bei den Religiosen der Fall sein mag.
Auch wenn in den Satzungen zu diesem Gedanken kein eigenes Kapitel zu finden ist, zwischen den Zeilen finden sich jedoch viele Hinweise an verschiedenster Stelle, wo die ganz reale Gesinnung der Armut in der Nächstenliebe, das Für-einander-einstehen usw. zum Ausdruck kommt. Ich will nur kurz andeuten, was dabei gemeint sein kann: Die Gemeinschaft bittet und fordert uns auf vielerlei Weise, materiell wie ideell. Die Leitung des Instituts auf höherer wie niederer Ebene fordert von uns Dienste, Opfer, Freizeit usw.

Zusammenfassung

Das Thema "Armut" ist nie und nimmer erschöpfend zu behandeln. Armut, wie es vielleicht spürbar geworden ist, hat viele Gesichter. Armut ereignet sich nicht in großen Worten und idealistischen Gemeinplätzen. Armut lebt im Verborgenen, nicht nur. Sie kann auch einmal, wo sie (wie bei Franziskus und vielen anderen) überzeugend gelebt wird, zum leuchtenden Zeichen des Ur-Christlichen in der Welt werden.
In materieller Hinsicht wird das Gelübde der Armut im SI in vielerlei Hinsicht anders gelebt als dies bei Ordensleuten der Fall ist. Wir entscheiden in eigener Verantwortung, was die materielle Seite unseres Lebens und unseres Berufes betrifft, das ist der wichtigste Aspekt. Das Institut beansprucht uns in materieller Hinsicht nur in sehr begrenzter Weise. Was aber das Gelübde der Armut in religiöser Hinsicht betrifft, so sehe ich keinen Unterschied zu anderen geistlichen Instituten, denn wir alle haben keine andere Richtschnur als die des Evangeliums, wenngleich im Laufe der Geschichte einzelne Institute (wie die Franziskanischen), sich in besonders radikaler Weise der Nachfolge des "armen Jesus" verschrieben haben.

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